Die Geschichte der Hundezucht

Teil 1: Von der Domestikation bis zur Gründung der Zuchtverbände

Die Geschichte der Hundezucht ist eng mit der kulturellen Entwicklung der Menschheit verbunden. Als ältestes Haustier nimmt der Hund eine besondere Stellung in unserer Gesellschaft ein. Neueste Untersuchungen geben uns immer tiefere Einblicke in die frühe Geschichte der Mensch-Hund-Beziehung.

Die frühe Domestikation

Lange Zeit war der genaue Zeitpunkt der Hundedomestikation umstritten. Moderne DNA-Analysen zeigen jedoch, dass sich die Vorfahren unserer heutigen Hunde vor etwa 40.000 Jahren von den damaligen Wolfspopulationen abspalteten (Botigué et al., 2017). Interessanterweise deutet alles darauf hin, dass die Domestikation des Hundes durch ein einzelnes Ereignis erfolgte – anders als bei vielen anderen Haustierarten gibt es keine Hinweise auf mehrfache unabhängige Domestikationen.

Die älteste bekannte Aufspaltung zwischen zwei mitochondrialen Hundelinien wird auf etwa 23.000 Jahre vor heute datiert (Perri et al., 2021). Die Domestikation dürfte daher etwa zu dieser Zeit stattgefunden haben. 

Der älteste eindeutig als domestiziert identifizierte Hundefund stammt aus der Zeit um 12.200 v. Chr. – der berühmte Fund von Bonn-Oberkassel (Janssens et al., 2018). Dieser frühe Haushund wurde zusammen mit menschlichen Überresten bestattet, was die bereits damals bestehende enge emotionale Bindung zwischen Mensch und Hund belegt. Die frühe Entwicklung der Hundezucht war vermutlich weniger eine bewusste Selektion als vielmehr eine natürliche Anpassung an verschiedene Umweltbedingungen und menschliche Bedürfnisse. Zu Beginn der Jungsteinzeit, etwa 9.000 v. Chr., hatten sich bereits mindestens fünf große Abstammungslinien entwickelt (Bergström et al., 2020).

Die Antike: Erste systematische Zuchtauswahl

In der Antike begann der Mensch, gezielter in die Hundezucht einzugreifen. Griechische und römische Schriftsteller wie Xenophon (ca. 430-354 v. Chr.) und Varro (116-27 v. Chr.) verfassten bereits detaillierte Abhandlungen über die Auswahl von Zuchthunden. Sie beschrieben erwünschte Eigenschaften für verschiedene Verwendungszwecke und gaben Empfehlungen zur Aufzucht von Welpen.

Die römischen Autoren unterschieden bereits verschiedene Hundetypen:

  • Canes pastorales (Hirtenhunde)
  • Canes villatici (Wachhunde)
  • Canes venatici (Jagdhunde)

Daneben gab es auch schon Schoßhunde (Zedda et al., 2006). Diese frühe Typologie zeigt, dass schon damals eine funktionale Differenzierung der Hunde stattfand. Archäologische Funde belegen, dass sich diese Hundetypen auch morphologisch deutlich unterschieden.

Das Mittelalter: Entstehung erster „Rassen“

Im Mittelalter entwickelte sich, besonders in Europa, eine zunehmend spezialisierte Hundezucht. Die Jagd als adeliges Privileg führte zur Entstehung verschiedener Jagdhundtypen. Frühe Jagdbücher wie „Le Livre de la Chasse“ von Gaston Phoebus (1387-1389) beschreiben bereits detailliert verschiedene Hundetypen und ihre spezifischen Verwendungen.

Auch die Entwicklung der Schafzucht hatte großen Einfluss auf die Hundezucht. In verschiedenen Regionen Europas entstanden spezialisierte Hütehunde, die an die jeweiligen geografischen Bedingungen und Herdentierarten angepasst waren. Diese regionalen Schläge bildeten die Grundlage für viele spätere Hütehundrassen.

Ein Bild aus dem Livre de la Chasse

Die viktorianische Revolution in der Hundezucht

Die systematische Rassehundezucht, wie wir sie heute kennen, nahm ihren Anfang im viktorianischen England. Die viktorianische Zeit war eine Ära der Standardisierung. Hunderassen wurden als „Marken“ betrachtet, die man sich als Idealtypen bestehender Hunde-Varietäten vorstellte (Worboys, 2018). 

In dieser Zeit wurde das Aussehen eines Tieres zunehmend als Stellvertreter für seine Funktion angesehen. Es wurden erste Hundeausstellungen organisiert, bei denen die Hunde ausschließlich nach ihrem Aussehen beurteilt wurden. Diese Entwicklung wurde durch mehrere gesellschaftliche Faktoren begünstigt:

  • Die aufstrebende Mittelschicht suchte nach Möglichkeiten, ihren neuen Status zu demonstrieren.
  • Die Industrialisierung schuf mehr Freizeit für Hobbys.
  • Der wissenschaftliche Zeitgeist förderte die systematische Kategorisierung.
  • Die Entwicklung der Eisenbahn ermöglichte überregionale Hundeschauen.

Im Jahr 1859 schrieb John Henry Walsh mit „The Dog in Health and Disease“ eines der ersten umfassenden Werke über Hunderassen und ihre Standards. Im gleichen Jahr fand in Newcastle-upon-Tyne die erste moderne Hundeausstellung statt, zunächst nur für Pointer und Setter. Die erste allgemeine Hundeschau folgte 1861 in Leeds. Mit der Einführung der Hundeschauen wurde das Aussehen eines Hundes als Indikator für seine Arbeitseignung immer wichtiger. Der große Erfolg dieser Veranstaltungen führte 1873 zur Gründung des Kennel Clubs. Sewallis Shirley, der erste Präsident des Kennel Clubs, etablierte grundlegende Prinzipien der Ausstellungsbewertung.

Die Siegerhunde der ersten allgemeinen Hundeschau in Leeds im Jahr 1861.

Die Gründung der ersten Zuchtvereine

Anders als in Großbritannien, wo sich mit dem 1873 gegründeten Kennel Club eine zentrale Organisation etablierte, entwickelte sich in Deutschland eine dezentralisierte Struktur mit spezialisierten Rassezuchtvereinen. In rascher Folge entstanden bedeutende Rasseverbände wie der Deutsche Teckelklub (1888), der Deutsche Boxer-Club (1895) und der Pudel-Klub (1904).

Ein Meilenstein war die Gründung des Vereins für Deutsche Schäferhunde (SV) im Jahr 1899 durch Rittmeister Max von Stephanitz. Mit seinem Konzept der leistungsorientierten Zucht prägte er die deutsche Hundezucht maßgeblich. Sein Leitsatz „Gebrauchshund ist Zuchtziel“ wurde zum Vorbild für viele andere deutsche Zuchtvereine.

Die wachsende Zahl unabhängiger Zuchtvereine machte eine übergeordnete Koordination notwendig. Am 16. Juli 1906 wurde der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) in Frankfurt am Main gegründet. Der VDH übernahm die Koordination zwischen den Rassezuchtvereinen, die Vertretung deutscher Interessen auf internationaler Ebene und die Entwicklung einheitlicher Zuchtstandards.

Baron von Gingins, Gründer des VDH (damals: Deutsches Kartell für Hundewesen).

Die zunehmende Internationalisierung der Hundezucht führte 1911 zur Gründung der Fédération Cynologique Internationale (FCI) in Paris. Deutschland gehörte durch den VDH zu den Gründungsmitgliedern, zusammen mit Verbänden aus Österreich, Belgien, Frankreich und den Niederlanden. Bemerkenswert ist, dass sowohl der britische Kennel Club als auch der American Kennel Club (AKC) sich gegen einen Beitritt zur FCI entschieden und ihre Unabhängigkeit bewahrten.