Die Geschichte der Hundezucht
Teil 2: Die moderne Hundezucht
Die Zuchtpraxis im 20. Jahrhundert bis etwa 1990
Die Zeit zwischen der Gründung der FCI und dem Beginn moderner wissenschaftlicher Zuchtprogramme war geprägt von traditionellen Zuchtmethoden, die das Erscheinungsbild vieler Hunderassen nachhaltig prägten. In dieser Phase entwickelte sich die Linienzucht zur dominanten Zuchtmethode.
Einen besonders großen Einfluss auf die Zuchtpraxis dieser Zeit hatte Lloyd C. Brackett mit seinem 1961 erschienenen Werk „Planned Breeding“. Er empfahl den Züchtern: „Let the sire of the sire become the grandsire on the dam’s side“. Die Überlegung hinter dieser Empfehlung war folgende: An Zuchtrüden werden in der Regel höhere Anforderungen gestellt als an Zuchthündinnen, da sie mehr Nachkommen haben. Ein Rüde, der es geschafft hat, einen männlichen Nachkommen in der Zucht zu haben, muss daher sehr gut gewesen sein. Daher sind Töchter dieses Rüden im Durchschnitt auch sehr gut. Um Probleme mit Inzuchtdepression möglichst zu vermeiden, empfahl Brackett, nicht die Tochter, sondern eine Enkelin mütterlicherseits mit dem Sohn zu verpaaren um die Merkmale des überlegenen Vorfahren zu festigen. Diese Methode war überaus erfolgreich um trotz unbekannter Zuchtwerte erwünschte Merkmale in einer Linie zu festigen. Seine Methode der gezielten Linienzucht, die später als „Brackett’s Formula“ bekannt wurde, fand weltweite Verbreitung. Diese Methode führte zwar zu einer hohen Merkmalshomogenität innerhalb der Linien und gut vorhersagbaren Zuchtergebnissen, hatte aber sehr problematische Folgen für die genetische Vielfalt: Gerade weil die Methode erfolgreich war, stieg die Nachfrage nach Hunden von Züchtern, die solch eine Linienzucht betrieben. Hierdurch wurde der Genpool der Rassen nach und nach durch den Genpool dieser Linien ersetzt und die genetische Diversität der Rassen brach ein. Die Folge war, dass schädliche, rezessive Gene vermehrt reinerbig vorlagen und die Häufigkeit erblicher Erkrankungen zunahm.
Die Ausstellungszucht entwickelte sich in dieser Zeit zum dominierenden Faktor in der Rassehundezucht. Erfolgreiche Ausstellungsrüden wurden häufig stark zur Zucht eingesetzt, was zu einer Einengung des Genpools führte. Diese Einengung des Genpools wird als „Popular Sire Effect“ bezeichnet. Zu dem übermäßigen Einsatz von Ausstellungssiegern in der Zucht kam es vor allem deshalb, weil Ausstellungssiege nahezu die einzigen Informationen waren, die Züchter über die Qualität eines Hundes hatten. Soweit es das Aussehen eines Hundes betrifft, ist dies häufig auch heute noch so. Anders als man meinen könnte, werden Hunde auf Ausstellungen nicht etwa anhand ihrer Schönheit, sondern anhand ihrer Rassestandards beurteilt. Die Rassestandards sind Textdokumente, die jeweils das Zuchtziel einer Rasse definieren. Da Textdokumente viel Spielraum für Interpretationen zulassen, kam es bald zu Übertypisierungen. So wurde beispielsweise eine Phrase der Form „Augen: tiefgesetzt“ von vielen Züchtern interpretiert als „Augen: so tiefgesetzt wie möglich“, was zu Gesundheitsproblemen führte. Zudem waren die Rassestandards geprägt durch die Vorstellungen, die die Zuchtpioniere vom idealen Rassetyp hatten. Diese Zuchtpioniere nutzten ihre Hunde häufig für ganz andere Aufgaben wie heutige Hundehalter, weshalb die Validität der von ihnen verfassten Rassestandards heute fraglich ist.
Die zunehmende Dokumentation von Gesundheitsproblemen und erste wissenschaftliche Studien zur Inzuchtdepression bereiteten den Boden für die späteren Reformen in der Hundezucht. Diese Phase der Hundezucht hat sowohl positive als auch negative Spuren hinterlassen. Einerseits wurden viele wertvolle Zuchtlinien etabliert, andererseits haben einige der damaligen Zuchtpraktiken zu Problemen geführt, mit denen die Hundezucht noch heute zu kämpfen hat.
Die wissenschaftliche Revolution in der Hundezucht
Die Entwicklung der Populationsgenetik durch Sewall Wright, Ronald Fisher und J.B.S. Haldane in den 1930er Jahren legte den theoretischen Grundstein für die wissenschaftliche Revolution in der Hundezucht. Wright führte das Konzept der effektiven Populationsgröße ein und entwickelte Methoden zur Berechnung von Inzuchtkoeffizienten. Diese theoretischen Grundlagen ermöglichten es erstmals, die langfristigen Auswirkungen von Zuchtentscheidungen zu verstehen.
Diese langfristigen Auswirkungen bekamen die Züchter in den 1990er Jahren zunächst selber zu spüren: Die zunehmende Konzentration der Hundezucht auf wenige erfolgreiche Zwinger führte zu dramatischen genetischen Flaschenhälsen. Wellmann und Bennewitz (2011) konnten zeigen, dass oft nicht etwa der häufig diskutierte „Popular Sire Effect“, sondern vor allem der „Popular Kennel Effect“ in Verbindung mit Linienzucht zu einer starken Einengung des Genpools führten. Die Hunde aus diesen einflussreichen Zwingern (engl: popular kennels) hatten im Durchschnitt deutlich größere genetische Beiträge zu nachfolgenden Generationen als andere Hunde, wodurch eine Population mit Nachkommen von Hunden aus diesen Zwingern überschwemmt werden konnte. Beispielsweise sank beim Norfolk Terrier die effektive Populationsgröße hierdurch für mehrere Jahrzehnte auf Werte unter 25, weit unter dem für eine nachhaltige Zucht notwendigen Minimum von 100. Derartige Erkenntnisse führten zu einer Neubewertung traditioneller Zuchtpraktiken.
Charles R. Henderson gelang schon in den 1950er Jahren ein bedeutender methodischer Durchbruch durch die Entwicklung der BLUP Zuchtwertschätzung (Best Linear Unbiased Prediction). Während diese Methode die Nutztierzucht revolutionierte, blieb sie in der Hundezucht weitgehend unbeachtet und wurde nur in Ausnahmefällen für Gesundheitsmerkmale implementiert. Der Hauptgrund hierfür dürfte sein, dass eine unverfälschte Datenbasis für Zuchtwertschätzungen in der Regel noch immer nicht zur Verfügung steht. Dies liegt daran, dass den Zuchtverbänden die Adressen der Hundebesitzer nicht bekannt sind. Um die benötigten Daten zu bekommen, müssten die Hundebesitzer angeschrieben werden.
Die Entwicklung standardisierter diagnostischer Verfahren, exemplarisch zu sehen an der HD-Diagnostik, war ein weiterer wichtiger Schritt. Gerry B. Schnelle etablierte in den 1950er Jahren die ersten standardisierten Röntgenuntersuchungen für Hüftdysplasie. Die spätere Entwicklung des FCI-Schemas und dessen internationale Anwendung ermöglichten erstmals eine systematische züchterische Bekämpfung dieser Erkrankung.
Die Entwicklung von DNA-Tests ab den 1990er Jahren eröffnete völlig neue Möglichkeiten. Der erste praxistaugliche DNA-Test für die progressive Retinaatrophie beim Irish Setter markierte den Beginn einer neuen Ära. Heute ermöglichen molekulargenetische Tests die gezielte Selektion gegen zahlreiche Erbkrankheiten. Die von Gustavo Aguirre entwickelten Tests für Augenerkrankungen waren dabei wegweisend.
Die Entschlüsselung des Hundegenoms durch ein internationales Forschungskonsortium unter Leitung von Kerstin Lindblad-Toh im Jahr 2005 war ein weiterer Meilenstein (Lindblad-Toh et al., 2005). Das Hundegenom erwies sich als besonders wertvoll für die Erforschung genetisch bedingter Krankheiten, da Hunde viele Erkrankungen mit dem Menschen teilen. Die detaillierte genetische Karte würde die Entwicklung eines DNA-Chips mit etwa 50.000 genetischen Markern ermöglichen, wie er heute bei anderen Tierarten routinemäßig in der Zuchtauswahl eingesetzt wird. Für Hunde gibt es noch keinen DNA Chip von geeigneter Größe: sie sind entweder zu klein, oder zu groß und zu teuer für praxisrelevante Auswertungen.
Parallel zu den genetischen Erkenntnissen hat auch die Verhaltensforschung wichtige Beiträge zur modernen Hundezucht geleistet. Der schwedische Verhaltensforscher Kenth Svartberg entwickelte standardisierte Verhaltenstests, die heute in vielen Zuchtprogrammen eingesetzt werden. Seine Studien belegen, dass beliebte Hunderassen sich durch höhere Sozialität und Spielfreude auszeichnen – Eigenschaften, die für die Eignung als Familienhund besonders wichtig sind (Svartberg, 2006). Die Integration dieser verhaltensbiologischen Erkenntnisse in Zuchtprogramme stellt allerdings eine besondere Herausforderung dar, da die Erfassung und Bewertung von Verhaltensmerkmalen komplex ist und Hunde in einer Testumwelt nicht immer ihr normales Verhalten zeigen. Dennoch gewinnt dieser Aspekt zunehmend an Bedeutung.
Diese wissenschaftlichen Entwicklungen führten zu einem fundamentalen Wandel in der Hundezucht. Moderne Zuchtprogramme nutzen populationsgenetische Analysen zur Erhaltung genetischer Vielfalt, BLUP-Zuchtwerte für komplexe Merkmale und DNA-Tests für Erbkrankheiten. Ein der großen Herausforderungen besteht nun darin, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse noch konsequenter in die Zuchtpraxis umzusetzen.
Die Qualzucht-Debatte und ihre Folgen
Die BBC-Dokumentation „Pedigree Dogs Exposed“ von Jemima Harrison aus dem Jahr 2008 markierte einen Wendepunkt in der Rassehundezucht. Die Dokumentation zeigte schonungslos die gesundheitlichen Probleme auf, die durch extreme Zuchtauslesen entstanden waren. Besonders die Darstellung von Cavalier King Charles Spaniels mit Syringomyelie und von Bulldoggen mit schweren Atemproblemen führte zu einer breiten öffentlichen Diskussion über Qualzucht. In Folge der Dokumentation geriet der Kennel Club stark unter Druck. Der Kennel Club reagierte mit der Einrichtung einer unabhängigen Kommission unter Leitung von Professor Patrick Bateson. Der „Bateson Report“ von 2010 führte zu weitreichenden Änderungen der britischen Rassestandards.
In Deutschland hatte der Qualzuchtparagraph (§11b TierSchG) bereits 1986 die Zucht von Tieren verboten, bei denen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich sind, oder bei denen mit Leiden verbundene Verhaltensstörungen auftreten. Die praktische Umsetzung erwies sich jedoch als schwierig.
Im Jahr 1999 wurde das sogenannte Qualzuchtgutachten mit dem Titel „Gutachten zur Auslegung von $11b des Tierschutzgesetzes“ veröffentlicht. Dieses Gutachten hatte immensen Einfluss auf die Politik, weshalb wir uns einmal näher damit auseinandersetzen wollen. Beim ersten Durchlesen fällt einem Experten das erschreckend geringe Niveau des Gutachtens auf:
- Zunächst wird der §11b als Naturgesetz hingenommen, ohne sich kritisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
- Anschließend werden in Kapitel 1.4 (Problematische Zuchtziele) eine Reihe von Merkmalen aufgelistet und ad hoc als „Störung“ bezeichnet, wie etwa der Riesenwuchs, der auch bei Elefanten vorkommen dürfte. Bei Gesundheitsproblemen, die mit diesen Merkmalen genetisch assoziiert sind, wird suggeriert, das Merkmal sei die kausale Ursache der Gesundheitsprobleme. Das ist in den allermeisten Fällen falsch, denn man kann gleichzeitig sowohl auf das Merkmal, als auch auf Gesundheit züchten. In der Regel liegt nur eine genetische Korrelation vor, die solch ein Vorgehen ermöglicht.
- Im speziellen Teil werden dann verschieden Merkmale getrennt nach Tierart erneut betrachtet. Hier wird für jedes Merkmal eine Definition gegeben, es werden die Rassen angeführt in denen es vorkommt, die Symptomatik wird beschrieben und zum Schluss wird eine Empfehlung abgegeben. Die Empfehlung ist in der Regel „Zuchtverbot“: entweder für betroffene Tiere, oder für stark betroffene Tiere. Solch eine Empfehlung würde ein Tierzuchtwissenschaftler nur in Ausnahmefällen geben. Ein Wissenschaftler würde empfehlen, in Abhängigkeit vom vorliegenden Erbgang entweder eine Segregationsanalyse oder eine Zuchtwertschätzung durchzuführen, die Zuchtwerte aller Merkmale in einem Selektionsindex zu kombinieren und Tiere mit zu geringem Selektionsindex von der Zucht auszuschließen (Wellmann, 2023). In Kapitel 3.3 wird durchaus Lehrbuchwissen über Zuchtwertschätzungen wiedergegeben, aber da die Empfehlung außer im Fall von HD nie lautete, eine Zuchtwertschätzung durchzuführen, ist dies irrelevant.
- Schließlich fällt auf, dass im speziellen Teil die Empfehlungen allein aufgrund der Symptomatik gegeben werden und ein Vorliegen von Leiden oder Schäden unterstellt wird, ohne dies nachzuweisen. Auch werden die Nachteile, die ein Tier durch die Umgestaltung seiner Merkmale hat nicht verrechnet mit den Vorteilen, die das Tier oder die Rasse insgesamt dadurch erhalten. Schließlich wird auch ein eventuelles Interesse der Halter an den umgestalteten Merkmalen weder erwähnt noch in der Empfehlung berücksichtigt. Auch die möglichen Konsequenzen der Empfehlungen für die effektive Populationsgröße und das langfristige Überleben der betroffenen Rasse werden kaum erwähnt.
- Erstaunlicherweise scheint den Autoren nicht bewusst gewesen zu sein, dass es bei allen erblichen Merkmalen auch schon in der Vergangenheit Zuchtfortschritte gegeben haben kann, sofern sie von den Züchtern nur wichtig genug genommen worden sind: So werden beispielsweise bei den Quellenangaben wissenschaftliche Arbeiten aus dem Jahr 1925 und aktuelle Arbeiten als gleichwertig betrachtet.
Es wirkt, als wäre der Hauptteil des Gutachtens von Studenten geschrieben worden, die nicht in der Lage waren, die Ergebnisse ihrer Recherchen in einen breiteren Kontext zu setzen. Im Prinzip könnten nahezu alle Aussagen, die in dem Qualzuchtgutachten über die Symptomatik gemacht werden, heute nicht mehr gültig sein, da seit der Publikation ein Vierteljahrhundert vergangen ist und die Rassen in dieser Zeit Zuchtfortschritte erzielt haben könnten. Es ist dringend geboten, das Qualzuchtgutachten zu überarbeiten und dabei Experten im Bereich Tierzucht und im Bereich Mensch-Hund Beziehungen mit einzubeziehen. Die letzte Seite des Qualzuchtgutachtens, auf der die beteiligten Verbände und Vereine angegeben sind, bestätigt den Verdacht des Fehlens solcher Experten bei der Erstellung des Gutachtens. Trotz seiner gravierenden Mängel hatte das Qualzuchtgutachten immensen Einfluss auf die Politik, insbesondere nachdem im Jahr 2008 die BBC-Dokumentation „Pedigree Dogs Exposed“ internationale Diskussionen über die Rassehundezucht ausgelöst hatte.
Die Bundestierärztekammer unterstützte oder veröffentlichte daraufhin zahlreiche populistische Positionspapiere und Pressemitteilungen zu Qualzucht bei Heimtieren, wie etwa einen Flyer von 2016, der behauptete, Möpse können kaum noch atmen, weil sie einen kurzen Fang haben. Zwar wird beim Durchlesen der Checkliste des Flyers einem Experten deutlich, dass den Autoren bewusst war, dass nicht der kurze Fang, sondern zu enge Nasenlöcher und zu lange, weiche Gaumen die eigentliche Ursache der Atemprobleme sind, aber den Lesern wurde dies nicht vermittelt. Der Schaden war schnell angerichtet: die Population der Rasse brach schneller ein als die Züchter die Probleme beheben konnten, weshalb ein Zuchtprogramm in Zukunft auf Importe aus dem Ausland angewiesen sein dürfte (136 VDH Welpen im Jahr 2023, Tendenz stark fallend). Dieses Beispiel verdeutlicht, wie wichtig eine ausgewogene Kommunikation von Gesundheitsproblemen ist – sie muss einerseits deutlich genug sein, um Veränderungen anzustoßen, darf aber andererseits nicht zu einem vorschnellen Zusammenbruch von Populationen führen, bevor Zuchtprogramme greifen können.
Die FCI reagierte auf Qualzuchtvorwürfe mit der Einrichtung von Arbeitsgruppen zur Überarbeitung problematischer Rassestandards (Hedhammar et al., 2011). In der Folge wurden die Standards vieler Rassen angepasst. Die neuen Standards fordern nun explizit offene Nasenlöcher und ausreichend lange Fänge, um schwere Atemprobleme zu vermeiden. Auch bei anderen Rassen wurden extreme Merkmale zurückgenommen. Die Unterstützung dieser neuen Standards durch die Züchter blieb aber häufig aus. Viele Züchter und Zuchtrichter orientieren sich noch immer an den alten Schönheitsidealen und versuchen, diese Schönheitsideale beizubehalten und sie mit einer besseren Gesundheit zu kombinieren. Bei Merkmalen, die für die Beliebtheit einer Rasse entscheidend sind, ist dies vielleicht auch notwendig. Allerdings sollten solche Vorhaben mit modernen Methoden wie Zuchtwertschätzungen unterstützt werden.
Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Die Rassehundezucht steht heute vor existenziellen Herausforderungen. Eine besorgniserregende Entwicklung ist der zunehmende Rückzug engagierter Züchter. Wie Strand et al. (2019) dokumentieren, haben viele Klein- und Großzüchter in den USA die Zucht von Rassehunden eingestellt und der Markt kann nur noch durch einen ständigen Zustrom von Tierschutzhunden aus dem Ausland im Gleichgewicht gehalten werden, wodurch Tierschutzvereine de facto in Tierhandlungen verwandelt werden. Ähnliches gilt für Deutschland. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Steigende gesetzliche Anforderungen erschweren die Zucht, während gleichzeitig die gesellschaftliche Wertschätzung für dieses zeitaufwendige und anspruchsvolle Hobby sinkt. Zusätzlich wächst die Konkurrenz durch Mischlinge und Designer-Kreuzungen.
Diese Entwicklung gefährdet besonders die genetische Vielfalt vieler Rassen, die ohnehin durch historische Flaschenhälse und die „Popular Sire“-Problematik bereits stark eingeschränkt ist. Während einige durch Gentests erfassbare Erbkrankheiten mittlerweile kontrolliert werden können, leiden andere Merkmale wie Deckverhalten, Muttereigenschaften und Wurfgröße oft weiterhin unter einer unzureichenden Berücksichtigung funktionaler Merkmale im Zuchtprogramm. Diese Probleme schrecken potenzielle neue Züchter zusätzlich ab.
Ein weiteres zentrales Problem ist die Diskrepanz zwischen traditionellen Zuchtzielen und modernen Anforderungen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei historischen Arbeitsrassen, die heute überwiegend als Familienhunde gehalten werden. Während die Rassestandards noch immer ursprüngliche Arbeitseigenschaften betonen, suchen die meisten Hundehalter ausgeglichene und attraktive Begleithunde. Diese Kluft zwischen Zuchtziel und tatsächlicher Verwendung führt häufig zu Problemen.
Wellmann et al. (2023) haben in ihrer grundlegenden Arbeit zur Definition valider Zuchtziele einen wichtigen theoretischen Rahmen für die Lösung dieser Probleme geschaffen. Ein Zuchtziel ist demnach nur dann valide, wenn die Selektion in diese Richtung sowohl die Eignung der Rasse für ihre zukünftigen Zwecke erhöht als auch eine ausreichend große Population erhält. Zentral ist dabei das Konzept der „Nische“ einer Rasse – der Umweltbedingungen und Anforderungen, unter denen die Rasse gedeihen soll.
Die Umsetzung dieser theoretischen Erkenntnisse erfordert eine grundlegende Reform der Zuchtstrukturen. Der Erfolg von Reformen in der Hundezucht wird davon abhängen, ob es gelingt, drei zentrale Herausforderungen zu meistern:
- Erstens muss die Gesundheit der Rassen weiterhin verbessert werden, was sowohl die Bekämpfung bekannter Erbkrankheiten als auch die Vermeidung extremer Merkmalsprägungen umfasst, insbesondere derjenigen, die für die Rassewahl zweitrangig sind.
- Zweitens müssen die Rassen besser an ihre heutigen Aufgaben angepasst werden, was bei den meisten Rassen bedeutet, dass sie zu ausgeglichenen, attraktiven Familienhunden entwickelt werden müssen.
- Die dritte Aufgabe ist es, diese Verbesserungen zu erreichen und gleichzeitig ausreichend hohe effektive Populationsgrößen zu erzielen, denn nur genetisch diverse Populationen können sich langfristig an neue Anforderungen anpassen.
Nur wenn es gelingt, diese drei Aspekte in Einklang zu bringen, kann die organisierte Rassehundezucht ihre wichtige Rolle bei der Zucht gesunder, wesensstarker Hunde auch in Zukunft erfüllen.