Einleitung
Der Begriff „Qualzucht“ sorgt in der Hundezucht immer wieder für Aufregung. Aber was genau verstehen wir darunter? Und ist die aktuelle Definition wirklich sinnvoll? In diesem Artikel werfen wir einen kritischen Blick auf das Thema und betrachten einige Beispiele, die zeigen, wie komplex das Thema tatsächlich ist.
Was ist Qualzucht?
Der Begriff „Qualzucht“ wird im deutschen Tierschutzgesetz nicht explizit verwendet. Stattdessen findet sich seine Definition im Gutachten zur Auslegung von §11b des Tierschutzgesetzes, erstellt von der Sachverständigengruppe „Tierschutz und Heimtierzucht“.
Laut diesem äußerst einflussreichen Gutachten liegt eine Qualzucht vor, wenn der Tatbestand des §11b des Tierschutzgesetzes erfüllt ist. Das bedeutet, dass eine (verbotene) Qualzucht beispielsweise dann vorliegt, wenn mit Hunden gezüchtet wird, bei deren Nachkommen eine Veränderung erblich bedingter Merkmale zu erwarten ist, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden ist. Diese Definition klingt zunächst einleuchtend, hat aber ihre Tücken, wie wir an einigen Beispielen sehen werden.
In dem Gutachten zur Auslegung des Paragraphen wird unter „Schmerzen, Leiden oder Schäden“ praktisch jede körperliche Umgestaltung verstanden, die den Hund benachteiligen kann. Die Autorengruppe schlägt konsequent vor, die Zucht mit betroffenen Hunden zu verbieten, auch wenn diese Aussage später relativiert wird, indem die Möglichkeit der Durchführung einer Zuchtwertschätzung in Erwägung gezogen wird. Der Begriff der genetischen Variabilität/Vielfalt taucht im gesamten Gutachten nur zweimal auf und der Begriff der effektiven Populationsgröße überhaupt nicht, was darauf hindeutet, dass die Empfehlungen nicht gut durchdacht sind.
Die Autorengruppe vertritt zudem implizit folgende Auffassungen:
- Der Nutzen für das Tier ist irrelevant: Es ist irrelevant, ob der Nutzen, den ein Hund durch die Umgestaltung seiner Merkmale hat, größer ist als die Nachteile, die er dadurch erfährt. Entscheidend ist allein die Existenz von Nachteilen.
- Der Nutzen für den Halter ist irrelevant: Es spielt keine Rolle, ob der Halter einen Nutzen aus den umgestalteten Merkmalen zieht oder ob diese Merkmale die Existenz und Nachfrage nach dieser Rasse überhaupt erst ermöglichen.
- Populationsgröße unerheblich: Es ist unwichtig, ob die effektive Populationsgröße der Rasse ausreicht, um betroffene Hunde von der Zucht auszuschließen.
Diese Definition erscheint in der Praxis daher nicht sinnvoll. Anhand einiger Beispiele sollen die Schwächen dieser Definition verdeutlicht und ein alternativer Vorschlag unterbreitet werden.
Rassebeispiele und Diskussion
Der Chow-Chow: Ein klarer Fall?
Der Rassestandard des Chow-Chows forderte bis vor einiger Zeit tief liegende Augen. Einige Züchter interpretierten dies als „so tief liegend wie möglich“, was dazu führte, dass viele Chow-Chows ein Entropium entwickelten – ein Einrollen der Augenlider, das zu Reizungen und Schmerzen führt. In diesem Fall handelt es sich tatsächlich um ein qualzuchtrelevantes Merkmal, denn:
- Leiden des Tieres: Der Hund leidet unter dem Entropium.
- Kein Nutzen für das Tier: Es bringt dem Hund keinen Vorteil.
- Kein Interesse des Halters: Besitzer kaufen diese Hunde nicht wegen ihrer eingerollten Augenlider.
Allerdings sind hiervon nur einzelne Hunde betroffen, nicht die gesamte Rasse. Daher sollte das Problem nicht als Beispiel einer Qualzucht angesehen werden, sofern es ein Zuchtprogramm für diese Rasse gibt, das sich der Problematik annimmt.
Der Mops: Unverschuldet in Kritik geraten?
Der Mops ist bekannt für seinen kurzen Fang. Bei manchen Exemplaren scheint der Fang sogar eine negative Länge zu haben, was zu einem deformierten Erscheinungsbild führt (siehe Bild links). Solche extremen Ausprägungen waren nie das Zuchtziel und sind vermutlich nicht der Grund, warum Halter Möpse wählen. Diese extrem kurzen Fänge können als qualzuchtrelevante Merkmale angesehen werden.
Betrachten wir jetzt jedoch die Möpse mit einem kurzen Fang, wie es der frühere Standard verlangte (siehe Bild rechts). Den dürften fast alle Möpse besitzen, oder zumindest alle, die phänotypisch als Möpse erkennbar sind. Um zu beurteilen, ob ein kurzer Fang eine Qualzucht darstellt, muss zunächst geprüft werden, ob der Hund darunter leidet. Generell ist dies nicht der Fall, es sei denn, es liegen zusätzliche Gesundheitsprobleme vor, wie:
- verengte Nasenlöcher,
- zu langer weicher Gaumen,
- vergrößerte Gaumenmandeln.
Wenn ein Mops unter Atemproblemen leidet, ist dies oft auf ineffiziente historische Zuchtprogramme zurückzuführen, bei denen assoziierte Gesundheitsmerkmale nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Selbst wenn ein Mops schnarcht, was auf verengte Atemwege hinweisen kann, könnte der Nutzen des kurzen Fangs den möglichen Schaden überwiegen: Ein kurzer Fang macht einen Hund niedlich und löst beim Besitzer Pflegeverhalten aus, weshalb Möpse im Durchschnitt mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten als andere Rassen, wovon sie emotional profitieren dürften.
Zwar sind mir keine Studien zum Mops bekannt, die den Nutzen eines kurzen Fangs für den Besitzer beim Mops untersuchen, aber eine in PLOS ONE veröffentlichte Studie zeigt, dass deutlich mehr Halter von Französischen Bulldoggen – ebenfalls einer brachyzephalen Rasse – nach dem Tod ihres Hundes wieder einen Hund derselben Rasse wählen würden als beispielsweise Halter von Cairn Terriern. Dies deutet darauf hin, dass solche Rassen die Bedürfnisse ihrer Halter besonders gut erfüllen. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn französische Bulldoggen, ebenso wie Möpse, wurden seit Jahrhunderten darauf gezüchtet, die emotionalen Bedürfnisse ihrer Besitzer zu erfüllen, weshalb sie wesentlich besser darin sein dürften als viele andere Rassen.
Nackthunde: Klimafrage oder Qualzucht?
Die Autorengruppe des Gutachtens hat ein Zuchtverbot für Nackthunde gefordert, insbesondere weil ihnen regelmäßig eine erhebliche Anzahl an Zähnen fehlt. Bei der Beurteilung der Qualzuchtrelevanz von Nackthunden müssen daher zwei Kriterien betrachtet werden:
Fehlende Zähne: Insbesondere das Fehlen der Fangzähne kann zu Problemen führen, etwa weil dann die Zunge seitlich aus dem Maul hängen kann. Die Häufigkeit und Erblichkeit dieses Merkmals sind entscheidend für die Beurteilung.
Haarlosigkeit: Haarlose Hunde benötigen in gemäßigten Klimazonen besondere Pflege, wie Sonnenschutz im Sommer und wärmende Kleidung im Winter. In den Tropen stellt die Haarlosigkeit jedoch kein Problem dar: dort ist es gleichbleibend warm und der Schatten hoher Bäume schützt ihre Haut vor der Sonne. Dies zeigt, dass die Haarlosigkeit an sich nicht als Qualzucht zu werten ist, sondern dass einfach die Umweltbedingungen in Deutschland für die Haltung dieser Rassen wenig geeignet sind.
Eine sinnvolle Definition von Qualzucht
Die bisherige Definition erweist sich als unzureichend. Eine sinnvollere Definition einer zu verbietenden Qualzucht könnte wie folgt lauten:
Der Tatbestand einer Qualzucht, die den generellen Ausschluss betroffener Hunde von der Zucht rechtfertigt, liegt vor, wenn alle folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Behinderung ohne Nutzen: Der Nutzen, den ein Hund von der Umgestaltung seiner Merkmale hat, ist deutlich geringer als die Nachteile, die er dadurch erfährt.
- Kein berechtigtes Interesse des Halters: Die Besitzer haben kein legitimes Interesse an einer extremen Ausprägung der Merkmale, d.h., extreme Ausprägungen der Merkmale sind nicht entscheidend bei der Auswahl der Rasse.
- Keine Korrektur durch Zuchtprogramme möglich: Es ist nicht möglich, ein Zuchtprogramm zu etablieren, das innerhalb eines angemessenen Zeitraums von mindestens fünf Generationen sicherstellt, dass die Kriterien 1 und 2 nicht mehr erfüllt sind.
Fazit
Die Diskussion um Qualzucht erfordert eine differenzierte Betrachtung, die sowohl die negativen, als auch die positiven Effekte der umgestalteten Merkmale auf das Wohlergehen des Hundes und seines Halters berücksichtigt. Eine pauschale Verurteilung bestimmter Rassen oder Merkmale wird der Komplexität des Themas nicht gerecht. Auch die geplante Novellierung des Tierschutzgesetzes leistet dies nicht.
Als Hundeliebhaber und verantwortungsbewusste Gesellschaft sollten wir uns für Zuchtpraktiken einsetzen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere in den Vordergrund stellen, ohne dabei die besonderen Bindungen zwischen Menschen und ihren vierbeinigen Begleitern zu ignorieren.